Page 6 - Stadtwerke Stade - Stader Brise 04-2021

© AnjaBeutler.de
IM GESPRÄCH

Sie kamen schnell auf den Punkt
und eröffneten mir, dass sie eine
große Geschichte vorhätten. Sie
würden mich mitmachen lassen,
ich müsse aber absolute Ver-
schwiegenheit garantieren... Sie
erzählten, dass sie gerade die
internationale Zusammenarbeit
für die Recherche aufgenommen
hätten, bei der ich teilhaben dürfte
und mit Material versorgt werden
würde. Es ist nämlich so, dass die
Cum-Ex Files, also die Enthül-
lungen, nicht nur ein deutscher
Steuerbetrug sind, sondern ein
europäischer. Und ich war dann
Teil dieser internationalen Re-
cherche – ein großes Privileg für
mich! Es war super spannend
mitzubekommen, wie so eine ge-
heime, groß angelegte journalisti-
sche Enthüllungsaktion läuft und
welche Regeln da gelten.
Politisch, kriminell, spannend: Was ist aus Ihrer Sicht das morali-

sche Unrecht an Cum-Ex?
Der Witz an den Cum-Ex Ge-
Der Cum-Ex Papers Fall schäften und dem moralischen
Unrecht ist ja, dass jedes Kind
sagen kann, dass es Unrecht ist.
Der größte deutsche Steuerbetrug auf der Bühne Es wird einem aber so verkauft,
dass es unglaublich kompliziert
Wie konnte es Banken, Börsenmaklern und Anwälten gelingen, den Staat bewiesen. Politische Skandale sei, diese Geschichten zu bewer-
im wohl größten Steuerbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik um und spröde Themen können auch ten. Um Cum-Ex zu verstehen,
Milliarden zu erleichtern? Und warum konnten Politik und Behörden dem spannend erzählt werden. muss man aber nur eine Sache
Treiben über 25 Jahre lang keinen Einhalt gebieten? Fragen, denen ein begreifen: Ist es unrecht, sich eine
Team von ZEIT ONLINE, DIE ZEIT und dem ARD-Magazin „Panorama“ nach- Wie ging es dann weiter? Steuer mehrfach (bis zu sieben
gingen und 2018 enthüllten. Mehr als ein Jahr lang hatten die Journalis- Nachdem ich den Artikel gelesen Mal) erstatten zu lassen, die nur
ten Unterlagen ausgewertet, die belegten, in welchem Ausmaß sich Ban- hatte, habe ich Kontakt zu den einmal gezahlt wurde? Jedes Kind
ken und Investoren Steuern auf Aktiengeschäfte zurückerstatten ließen,
die ihnen nicht zustanden. Theaterregisseur Helge Schmidt bringt ein Re- Journalisten aufgenommen, die
cherchestück zu diesem Thema auf die Bühne des STADEUMs. Stader Brise den Artikel geschrieben und dazu
Redakteurin Julia Balzer sprach mit ihm. recherchiert hatten. Ich habe mich
mit einem ZEIT Journalisten ge-
troffen, der mir als Laie auf die-
Wie kommt man auf die Idee, ein kommt diese Reaktion zustande, sem Gebiet die Hintergründe und
Theaterstück über ein eher pro- wieso verbinde ich das Thema Zusammenhänge aus wirtschafts-
fanes Thema wie Steuern zu ent- und diesen Skandal so wenig mit journalistischer Sicht erklärt hat.
wickeln? mir, obwohl es doch um mein Dann habe ich irgendwie das
Auf die Idee bin ich tatsächlich und um das Steuergeld von allen Gefühl bekommen, dass er
am Küchentisch gekommen. Ich Bürgerinnen und Bürgern geht, mich abcheckt und abklopft
habe einen Artikel in der ZEIT das uns geklaut wird? Das war auf meine Vertrauenswürdig-
gelesen über den größten Steuer- ein Skandal, der mit jedem von keit, wer ich bin und was wir
raub der deutschen Geschichte. uns zu tun hat und er rüttelt an als Gruppe vorhaben. Tat-
Ich war zwar fassungslos als ich den Grundfesten von demokra- sächlich war es dann so,
das las, aber es hat auch irgend- tischem Zusammenleben. Mein dass er mir am Ende des
wie wenig mit mir gemacht. Und Wunsch und meine Absicht waren Gesprächs verriet, dass
da kam der Gedanke, dass das auf geboren; ich wollte das aufklären sie an „etwas dran sei-
die Bühne muss, eben weil es so und ein Gefühl für das Unrecht en“, er aber noch nicht
wenig mit mir gemacht hat. Denn entwickeln. Ich denke, Menschen viel verraten könne.
ich war zwar eigentlich empört, sind sofort dazu bereit, sich für Am nächsten Tag mel-
aber wäre dennoch zur Tages- „profane“ Dinge zu interessieren, dete er sich wieder und
ordnung übergegangen.... Aber wenn sie gut aufbereitet sind. Das wir trafen uns erneut,
dann habe ich mich gefragt: Wie haben auch schon andere vor mir dieses Mal zu viert.

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