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DAS OPERNGLAS
· September 2014 ·
Joyce DiDonato / Christa Ludwig
C7855 • 35. Jahrgang • September 2014 • EU: € 8,70 / CHF 12,- / $ 7,70 / £ 6,70 / D: € 6,90
Die ganze Welt der Oper in einem Magazin
JOYCE DI DONATO WIR SIND TRAPEZKÜNSTLER CHRISTA LUDWIG DIE LEGENDÄRE
MEZZOSOPRANISTIN IM INTERVIEW BAYREUTH JUBEL FÜR FRANK CASTORF SALZBURG DER
NEUE »ROSENKAVALIER« MÜNCHEN TELL KOMPAKT ZÜRICH ENTFESSELUNG DER KRÄFTE
MAX EMANUEL CENCIC
NÜRNBERG GLUCK-FESTSPIELE WELS JUBILÄUM STRAUSS 2014 PREMIEREN-REIGEN
DAS INTERVIEW
Erfolgsgeschichte
Interviews, Premierenberichte, Er ist einer der gefragtesten Countertenöre unserer Zeit – und ein ernsthafter, selbstrefl ektierender
Gesprächspartner. Marc Fiedler traf den Sänger in Nancy.
ie haben sich auf fulminante Art und Weise vom Maßnahme mit dem Ziel, Seitensprünge zu verhin-
Knabensopran bei den Wiener Sängerknaben dern und Prostitution zu unterbinden, ganz einfach,
Szum männlichen Sopran und zum Countertenor um für Sitte und Ordnung zu sorgen. Natürlich hat
CD- und DVD-Besprechungen, da ganz bewusst. Für Sie gibt es diesen Unterschied dass man Kastraten in Frauenkostüme steckte, wurde
entwickelt. Einige Kollegen von Ihnen differenzieren man genau das Gegenteil erreicht, denn dadurch,
wiederum eine andere Art der Prostitution gefördert.
nicht?
Nein, für mich gibt es da keinen Unterschied. Ich Das war nicht anders als in China und Japan, wo es
habe einfach den Weg eingeschlagen, den mir meine ähnliche Erscheinungen gab. Die Theaterszene wur-
Stimme vorgegeben hat. Es ist schon erstaunlich, de zu einem „Sodom und Gomorra”, das man unter
was wir Countertenöre heute in diesem Repertoire der Hand geduldet hat. Die Kardinäle hatten Mätres-
erreicht haben. Wir geben Leonardo Vincis »Artaser- sen oder Kastraten als Liebhaber. Nehmen Sie den
se« eins zu eins wieder, so wie er damals im Rom großen Kastraten Pasqualini, der die Rolle des Sposa
Künstlertermine, Saisonvorschauen… dass wir der Höhe und der Technik der damaligen der Lebenspartner von Kardinal Barberini. Aber Rom
von 1730 aufgeführt wurde. Wir sind heute so weit, in Landis »Il Sant’ Alessio« gesungen hat: Er war
Kastraten sehr nahe kommen. Zur damaligen Zeit war das damalige Zentrum der Oper. Alle wichtigen
waren Frauen auf der Bühne verboten, und so muss-
Komponisten haben in der Heiligen Stadt gearbeitet:
ten sämtliche Rollen, die für sie konzipiert waren, Vivaldi und Händel, Hasse und Porpora, einfach alle
von Männern gesungen werden – der Sitte wegen. – außer Bach.
Es ist schon faszinierend, sich in diese Zeit zurück
versetzen zu dürfen. Und dennoch wissen wir immer noch sehr wenig aus
dieser römischen Zeit.
Der »Artaserse« ist da wohl die perfekte Gelegenheit: Das ist doch das Faszinierende daran. Diese Zeit
Neben Ihnen standen noch vier weitere Countertenö- war mysteriös. Sie ist bis heute ein Buch mit sieben
06_24_Festspiele:Opernglas 16.08.2010 13:31 Uhr Seite 6 06_24_Festspiele:Opernglas 16.08.2010 13:31 Uhr Seite 7 re auf der Bühne, darunter international angesehene Siegeln. Die Zeit danach war viel langweiliger, vor
Künstler wie Philippe Jaroussky und Franco Fagioli. allem das viktorianische Zeitalter mit seiner starren
Das Projekt ist ein Traum. Besonders die Partie Geschlechterverteilung und der Prüderie als Teil der
des Arbace, die Franco Fagioli interpretiert hat, ist Gesellschaftsetikette. Im 19. Jahrhundert hat sich ja
unglaublich schwer. Da würden selbst die Damen ins die Travestie in der Oper auch lediglich auf Hosenrol-
FESTSPIELE FESTSPIELE len beschränkt, und immer nur dann, wenn es darum
Schwitzen kommen. Wir wollten einfach das Außer-
ging, einer Mezzosopranistin die Partie eines Knaben
gewöhnliche.
zuzuschreiben. Das Leben im 17. und 18. Jahrhundert
Sie selbst sind in dieser Produktion in die Rolle einer war einfach ausgelassener und formloser, was Kon-
Frau geschlüpft: Mandane, die Schwester Artaserses. ventionen angeht. Bis zur Zeit Napoleons gehörten
War das nicht ungewöhnlich für Sie? die Mätressen zum Monarchen wie der König zur
Nicht ungewöhnlicher als den Kaiser Nero zu spie- Monarchie. Heute wäre das undenkbar, es gäbe ei-
len. Ich bin Schauspieler und genieße es, immer wie- nen Skandal.
An der punktgenauen Wirksamkeit der Lohengrin war technisch wie stilistisch über rial der Solisten einigermaßen gleichbe- der in eine neue Rolle zu schlüpfen. Auf der Bühne
Produktion hat Ausstatter Reinhard von der jeden Zweifel erhaben. Kaufmann wusste rechtigt zu unterstützen. Dass diese löbliche ist alles erlaubt. Die Bühne ist doch ein Spiegel des Die Barockmusik fasziniert ein immer breiteres Publi-
Thannen beträchtlichen Anteil: Er zeichne- einmal mehr seinen in der Mittellage un- Rücksichtnahme auf Kosten seines eigenen Lebens – und das Leben ist bunt, und das Schöne kum. Den Löwenanteil an dieser Entwicklung haben
te nicht nur für das geradlinig kühle, sehr hell verwechselbar markanten, charakterstarken Debüt-Erfolges gehen könnte, nahm der jun- daran ist, dass man als Sänger Teil jener Magie wird, Künstler wie Sie. Sie sagen es selbst: Sie sind heute
und doch enorm atmosphärisch ausge- Tenor stets souverän zu führen und eine ge Lette in Kauf. Sein Dirigat gewann den- die sich Theater nennt. so weit, dass Sie der Höhe und der Technik der da-
leuchtete Bühnenbild verantwortlich (Licht: große Farbpallette abzurufen. Der dramati- noch durchaus eigenes Profil, nahm – nach maligen Kastraten sehr nahe kommen. Wie ist diese
Franck Evin), sondern auch für die fantasie- sche Glanz seiner Forte-Höhen (Brautge- einem leider völlig zerfaserten Vorspiel und Zu dieser Magie trägt die Travestie natürlich bei. rasante Entwicklung der letzten Jahre zu erklären?
vollen, hochwertig gefertigten Kostüme, von mach) begeisterte; im wunderbaren Kontrast einem von Nervosität geprägten ersten Akt Sie ist schon ein wesentlicher Bestandteil der ita- Das Interesse des Publikums stimuliert uns Künstler Foto: Laidig
denen die gut getroffenen, jeweils individu- dazu geriet die verinnerlichte Gralserzählung – immer zielstrebiger Fahrt auf in Richtung lienischen Oper. In Rom war es eine pragmatische dazu, sich weiterzuentwickeln, es bringt Nachwuchs
ell angepassten Ratten mit ihren wippen- zu einem Moment höchster Konzentration einer konzentrierten, eher analytisch klaren 11
den Schwänzen, zappelnden Riesenhänden – auch im Publikum. Bemerkenswert, wie denn romantisch schwelgerischen Ausle-
und rot blinkenden Augen vorrangig erwähnt der Sänger die Piani setzte und aus diesen, gung der Partitur. Insgesamt eine bemer- DAS OPERNGLAS 2 / 2013 DAS OPERNGLAS
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werden müssen. Die Münsterszene gerät ob crescendierend, weitere Spannungsbögen kenswerte, vielversprechende Leistung, die –
ihrer hinreißenden Kleideropulenz gar zum gestaltete. Einzig im befreiten Aussingen, im sich wohltuend abhob von manchem unbe-
visuellen Fest: die Chordamen nunmehr in Loslassen des zuweilen etwas artifiziell wir- friedigenden Dirigat einiger seiner »Lohen-
fantasievollen bunten Petticoats, die beiden kenden Gesangs liegen Möglichkeiten zur grin«-Vorgänger an diesem akustisch so be- 21.01.13 15:19 22_26_Cencic.indd 23 8 21.01.13 15:19
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Protagonistinnen in opulenten, raumgrei- Optimierung. Hier fehlten dem Sänger spür- sonderen Haus.
fenden Federroben wie zwei stolze Schwä- bar die vokal gleichwertigen Partner. Gerade in einem solchen Umfeld musste
ne – die eine, Elsa, ganz in Weiß, die ande- Zu welch leidenschaftlicher Intensität sich die exaltierte Ortrud der Evelyn Herlitzius wie
re in Schwarz. In einer bis ins Detail durch- insbesondere das Protagonistenduo gegen- ein Fremdkörper wirken. Das erzielte durch-
dachten Choreografie umkreisen sich die Ri- seitig beflügeln kann, hatte zuletzt die Paa- aus den gewünschten Effekt und ging kon-
valinnen abwartend, drohend – bis Lohen - rung Harteros-Kaufmann bei den Münchner form mit dem Rollenprofil. Doch was zu Be-
grin dazwischen geht: eine tolle Szene! Die- Festspielen 2009 bewiesen. An dieses Ni- ginn des zweiten Aufzuges noch kontrol- · November 2013 ·
ser Art gelingen eine ganze Reihe grandioser veau konnte Annette Dasch bei ihrem Rol- lierter, eindrucksvoll gestalteter Stimmklang
Bilder, die in ihrer suggestiven Bild- und sym- lendebüt als Elsa nicht heranreichen. Zu vor- war, mutierte beim Fluch im letzten Akt zum
bolischen Aussagekraft unmittelbar berüh - sichtig, zu unsicher in der Gestaltung blieb hysterischen Schrei. Durch und durch ein
ren und lange haften bleiben. ihre Interpretation hinter einer festspielrei- wahres „Bühnentier“ überzeugte die Sän-
gerin letztendlich vorrangig mit ihrem star-
Es ist eine Inszenierung der Metamor-
fen Leistung zurück: mehr ein glückliches
phosen, der Veränderungen. Nuancen in Durchhangeln als eine souveräne Darbie- ken, charismatischen Spiel. Hans-Joachim
Kleidungs- und Verhaltensweisen signali- tung. Der an sich ansprechend timbrierte So- Ketelsen war dagegen als kurzfristig für Lu-
sieren die immerwährende, ungelöste Iden- pran der Sängerin klang selbst im stimm- cio Gallo eingewechselter Telramund von
titäts-, Sinn-, Glaubens-, Wahrheitssuche freundlichen Bayreuther Festspielhaus ganz anderem Kaliber; seine Herangehens-
praktisch aller Beteiligten. Auch der Schwan schwach, hatte zuweilen sogar Mühe, sich weise ist die einer voll auf vokaler Linie ge-
gerupft vom Himmel baumelnd, mal stili-
zurückhaltend gestalteten Orchestertutti
Konfrontation vor dem „Münster“: Annette Dasch (Elsa), Jonas Kaufmann (Lohengrin), Evelyn Herlitzius (Ortrud) erscheint in unterschiedlicher Gestalt, mal im von Andris Nelsons ohnehin schon sehr haltenen Gestaltung. Nicht mehr ganz an
Kraft und Glanz früherer Jahre anknüpfend,
präsentiert Lohengrin im Schwanen-Ei den
reuth-Debütant des Abends neben Dasch,
und deutliche Artikulation. Georg Zeppen-
BA YREUTHER FESTS PIELE andere Publikumsreaktionen erlebt. Und die schnell offenbart sich der raffinierte Hinter- siert als Kunstobjekt in der Vitrine. Am Ende durchzusetzen. Der Dirigent, vierter Bay- überzeugte er doch durch kluge Phrasierung
Lohengrin Wogen um diese neue, ungewohnte Wagner- gedanke, weist diese Tierart doch ein aus- neuen Führer von Brabant: ein fremd-ver- Kaufmann und Neuenfels, gab sich große feld war ein ausdrucksstarker König Hein-
Sicht werden sich wohl schneller glätten, als
rich, Samuel Youn ein solider Heerrufer.
geprägtes Sozialverhalten auf. Leicht gibt
Mühe, das sehr inhomogene Stimmmate-
trautes, abschreckend-faszinierendes Em-
25. Juli bei mancher Bayreuther Vorgängerproduk- sich das „Volk“ einem neuen Heilsbringer bryonalwesen, das sich demonstrativ und
Die Geste war eindeutig: Als sich Hans tion, denn so vehement und aufgeregt jetzt hin: Nicht erst beim siegreichen Kampf ge- selbstbewusst die eigene Nabelschnur Im Brautgemach: Dramatisches Ringen um Liebe und Wahrheit Jonas Kaufmann / Deborah Humble / Georg Schmiedleitner
durch trennt. Alles auf Anfang? Ein weiterer
gen Telramund, sondern bereits beim blo -
einige Zuschauer spontan ihre liebgewon-
Neuenfels und Reinhard von der Thannen nenen Sehgewohnheiten verteidigten, so un- ßen, wundersamen Anblick des nahenden Heilsbringer, dem blind zu folgen ist? Oder
am Ende dieses Premierenabends auf der aufgeregt kommt letztendlich die zwar ra- Schwanenritters ist die manipulierbare Mas- vielleicht doch eine Vision von Neubeginn,
Bühne zeigten und sich der erwartungsge - dikale aber sehr hellsichtige und prägnant se beflissentlich bereit, die Fronten zu wech- eine Aufforderung zum Leben ohne Fremd-
mäß vielstimmige Chor aus Buh- und Bra- herausgearbeitete Neudeutung des ver- seln, das Rattenkostüm an der Garderobe bestimmung? Ein vielsagendes Ausrufezei-
vorufen über Regisseur und Ausstatter des meintlich so vertrauten Stoffes daher. abzugeben, wo es – ein herrlicher Effekt – im chen zum Finale einer Inszenierung, deren
neuen Bayreuther »Lohengrin« ergoss, Das Laboratorium, in dem Hans Neuen- Kollektiv, rattenschwanzbaumelnd, in den Premierenpannen (eine geplante erste Vi-
sprangen ihnen kurzerhand die beiden Fest- fels seine Vision der Sage ansiedelt, ist klar Bühnenhimmel entschwebt. Es sind eben- deoanimation – „Erste Wahrheit“ – fiel aus)
spiel-Chefinnen zur Seite. Demonstrativer strukturiert, klinisch rein, nach außen her- so gnadenlos treffsichere wie delikat ästhe- und leichte choreografische Unsauberkeiten
können Theaterleiter ihre Zustimmung für metisch abgeriegelt. Lohengrin, so zeigt es tisch visualisierte Beobachtungen des Re- (Chorarrangements) sich in den kommen-
eine Regie-Arbeit nicht ausdrücken. Doch so das Vorspiel, will hier ganz unbedingt und gieteams, die diesen »Lohengrin« schon den Vorstellungen sicher schnell korrigie-
aufmunternd und hilfreich der unerwartete unter großen Mühen hinein; als es ihm ge- jetzt zum Klassiker prädestinieren: ganz an ren lassen.
Auftritt von Eva Wagner-Pasquier und Ka tha- lingt, kann das Experiment beginnen. Dass einer heutigen Ästhetik orientiert, raffiniert Diese Gewissheit wünschte man sich auch
rina Wagner gemeint war, er wäre im Prin- das Volk von Brabant hier als eine putzig überzeichnet, dabei regelrecht konventionell für den eher durchwachsenen musikalischen
zip nicht nötig gewesen: Da haben der Grü- anzuschauende Rattenpopulation im Ver- in der Erzählweise und vollkommen zeitlos Fotos: Nawrath Teil der Aufführung. Jonas Kaufmann traf an
ne Hügel und auch Neuenfels schon ganz suchslabor dargestellt ist, amüsiert. Doch in der Aussage. diesem Eindruck die geringste Schuld. Sein
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Für den Kenner wie für den Liebhaber JONAS KAUFMANN MEIN VERDI DEBORAH HUMBLE ZWISCHEN DEN
WELTEN GEORG SCHMIEDLEITNER AUFTAKT ZUM NÜRNBERGER »RING« NINA
STEMME MINNIE IN WIEN DANIEL BARENBOIM PLÄDOYER FÜR DIE »ZARENBRAUT«
eine unverzichtbare Lektüre! ROBERT WILSON DER REGISSEUR ALS DARSTELLER PERM OPER AM TOR ZU SIBIRIEN
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